Beschäftigungsrisiken und Arbeitsqualität in der digitalen Transformation

Empirische Analysen zu KI, Plattformarbeit und digitalen Arbeitsplätzen mit dem SOEP

Die digitale Transformation verändert nachhaltig die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen und ist seit Jahren ein relevantes Thema in der Politik und in der Öffentlichkeit. Um Digitalisierungspotentiale für inklusives Wachstum optimal zu nutzen, hat die Bundesregierung eine Digitale Agenda ausgearbeitet. Insbesondere das Weißbuch „Arbeiten 4.0“ des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) fasst die Herausforderungen für den deutschen Arbeitsmarkt zusammen und ruft zu evidenzbasierten politischen Entscheidungen und einer öffentlichen Arbeitsweltberichterstattung auf. Gerade auch die Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft bearbeitet hier zentrale Themenfelder, wie künstliche Intelligenz, Plattformarbeit und die Eigenschaften digitalisierter Arbeitsplätze.

Die aktuelle Welle des technologischen Fortschritts – die digitale Transformation – ist durch eine tiefgehende Verknüpfung physischer und virtueller Welten gekennzeichnet, die prinzipiell neue Kommunikationswege etabliert und somit Möglichkeiten zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Arbeitsmethoden und Arbeitsorten schafft. Die Wirkung der Digitalisierung auf die Arbeitswelt und die Gesellschaft ist vielseitig und birgt Chancen, aber auch erhebliche Risiken. Zum einen kann Digitalisierung neue Arbeitsplätze für Bevölkerungsgruppen schaffen, die die üblichen Beschäftigungsformen nur eingeschränkt nutzen können, wie z.B. Rentner oder Mütter. Zum anderen hat Digitalisierung das Potential, einige Tätigkeiten, die bisher von Menschen ausgeübt wurden, zu ersetzen und folglich die Nachfragestruktur nach Berufen zu ändern. Darüber hinaus vermag die Digitalisierung der Arbeitswelt auch dazu beizutragen, Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit aufzuheben und so eine insgesamt höhere Arbeitsbelastung mit sich zu bringen. Unser interdisziplinäres Projektvorhaben wird – auf der theoretischen und methodologischen Basis von Ökonomie und Soziologie – neue Evidenz zu digitalen Arbeitsplätzen, Plattformarbeit und künstlicher Intelligenz liefern und so eine fundierte Grundlage für Verantwortungsträger schaffen, um evidenzbasierte politische Entscheidungen in der Arbeits- und Sozialpolitik zu treffen, die Transformationskosten minimieren und den technologischen Fortschritt möglichst vielen Bevölkerungsgruppen zugutekommen lassen würden.

Studien zur aktuellen Verbreitung der Digitalisierung (KI, Plattformarbeit und digitalisierter Arbeitsplätze) und ihrer Folgen für die Arbeitswelt in Deutschland sind nur vereinzelt vorhanden, was auf einen Mangel an belastbaren sozialwissenschaftlichen Befragungsdaten zurückzuführen ist. Insgesamt ist es bisher nur grob einschätzbar, wie weit die Digitalisierung bereits den Arbeitsalltag bestimmt und welche Bevölkerungsgruppen, Wirtschaftszweige, Qualifikations- oder Berufsgruppen sie tatsächlich betrifft. Ferner ist es unklar, welche Arbeitsplätze von Digitalisierung profitieren werden bzw. wer und in welchem Umfang die damit verbundenen Kosten trägt. Die Effekte auf das Privatleben und auf der Haushaltebene sind auch noch nicht beziffert. Unser Forschungsvorhaben nimmt sich genau diese Themenfelder mit Hilfe eines innovativen Fragebogenmoduls vor, das 2019 als Teil der Innovationsstichprobe und 2020 in der Hauptbefragung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) erhoben wird. Somit ergänzt das innovative Datenmodul die Forschung durch die integrierten Analysen der Arbeitswelt: Diverse Aspekte der Digitalisierung werden zeitgleich erfasst und alle Beschäftigtengruppen werden in ihrem Haushaltskontext erhoben. Der innovative Charakter der Daten erfordert – neben den inhaltlichen Analysen – auch methodologische Forschung zu Verifizierung der Erhebungsinstrumente und liefert wichtige Evidenz, die über die bestehenden Befragungen von Beschäftigten und Betrieben hinausgeht.

Mit Blick auf die politische und gesellschaftliche Notwendigkeit von fundierter Forschung zur Digitalisierung und ihrer Auswertung umfasst unser Vorhaben folgende Ziele: Erstens, Erfassung der Verbreitung der Digitalisierung, gemessen an der Verbreitung der künstlichen Intelligenz, Plattformarbeit und digitalisierter Arbeitsplätze mittels (a) SOEP-IS, ab 2019 (Soziooekonomisches Panel, Innovation Sample, ca. 1.500 Befragte) und (b) SOEP, ab 2020 (Soziooekonomisches Panel, Hauptbefragung, ca. 30.000 Befragte). Zweitens, interdisziplinäre Forschung in den zwei dominierenden Forschungssträngen der Sozialwissenschaften: Zum ökonomischen Schwerpunkt „Substitution und Zuwachs der Beschäftigung in der digitalen Arbeitswelt“ und zum soziologischen Schwerpunkt „Arbeitsqualität und soziale Ungleichheit in der digitalen Arbeitswelt“. Drittens, survey-methodische Forschung zu Erhebung der Digitalisierungsmerkmale in den Befragungsdaten und ihre Validierung mittels vorhandener Datenquellen. Ein wichtiger Output der methodologischen Forschung ist ein kompaktes und dennoch aussagekräftiges Befragungsmodul, das in nationalen und internationalen Haushaltsbefragungen eingesetzt werden kann.

Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine etablierte Längsschnittstudie, die seit 1984 Veränderungen in der Gesellschaft dokumentiert und somit eine wertvolle Grundlage für Forschung und politische Entscheidungen liefert. Das Innovation-Sample des SOEP dient sowohl dem Test innovativer Befragungsinhalte und methodischer Designs, als auch als eine eigenständige Datengrundlage zur inhaltlichen Auswertung dieser neu erfassten Informationen. Aufgrund des vergleichsweise geringen Stichprobenumfangs sind die inhaltlichen Aussagen allerdings begrenzt. Aus diesem Grund, sind komplexere Analysen erst nach der Erhebung der Daten in der Hauptbefragung des SOEP möglich, in dem aktuell mehr als 14.000 Haushalte regelmäßig befragt werden. Eine repräsentative Befragung der Haushalte, wie das SOEP, eignet sich ideal für eine systematische und umfangreiche Erfassung des Ausmaßes und der Folgen der Digitalisierung, die über die direkten Folgen am Arbeitsplatz hinausgehen und deswegen nicht in reinen Beschäftigten-Befragungen erfasst werden können.