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Fallstudie: Mit Daten gegen die Mietenkrise – Ein Blick nach Wien

© Unsplash/ Jakub Zerdzicki

Drastisch steigende Mieten führen zu finanziellen Problemen für Mieter*innen, verdrängen kleine Geschäfte und lokale Restaurant und schwächen den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken benötigen Städte und Kommunen aussagekräftige Daten, die ein wissenschaftlich fundiertes Handeln ermöglichen. In einer neuen Fallstudie unter der Leitung von Dr. Fabian Braesemann, Assoziierter Wissenschaftler am Einstein Center Digital Future und Wissenschaftler an der Universität Oxford, untersuchen die Forscher*innen, wie sich Wohnungspräferenzen während der Covid-19-Pandemie in Wien entwickelt haben und welche Rückschlüsse sich daraus für andere Städte ziehen lassen, um Wohnraum bezahlbar zu halten. 

Die Studie ist kürzlich im Fachjournal PLOS One erschienen. Unter dem Titel „How have urban housing preferences developed in response to the COVID-19 pandemic? A case study of Vienna“ analysiert das Forschungsteam unter Mitwirkung von Forschern des ECDF und von Ökonomen des österreichischen Think Tanks Agenda Austria die Auswirkungen der Pandemie auf das Mietniveau in Wien – und zeigt, wie Daten helfen können, die Dynamiken urbaner Wohnungsmärkte besser zu verstehen und zu steuern. Die qualitative und quantitative Untersuchung basiert auf über 120.000 Inseraten einer der größten Wohnungsplattformen Österreichs. Die Forscher identifizieren dabei drei Entwicklungen, die auch für deutsche Städte wie Berlin oder München relevant sind: 

Wohnpräferenzen verändern sich durch Krisen
Die Pandemie hat dazu geführt, dass Mieter*innen Wohnungen neu bewerten: Statt zentraler Lage und guter Anbindung stehen plötzlich Kriterien wie ein separates Arbeitszimmer, Balkone oder mehrere Bäder stärker im Fokus. Der „Arbeitsort Wohnung“ hat neue Anforderungen geschaffen, diese spiegeln sich in der Preisentwicklung wider.

Städte brauchen strukturelle Vielfalt
Wien konnte den gestiegenen Bedarf an größeren Wohnungen mit Außenflächen durch die Bebauung der äußeren Bezirke besser ausgleichen als andere Städte. Die Folge: Während die Mieten dort stiegen, blieb die Innenstadt preislich relativ stabil. Dieses Zusammenspiel unterstreicht die Bedeutung einer vielfältigen städtischen Struktur für die Resilienz gegenüber externer Schocks wie einer Pandemie.

Echtzeitdaten um auch kurzfristig reagieren zu können
Die Studie zeigt, dass es hochauflösende, räumlich differenzierte Daten braucht, um Mietpreisdynamiken zu verstehen, das bloße Beobachten durchschnittlicher Mietniveaus reicht nicht aus. Echtzeit-Datenanalysen bieten Städten eine wertvolle Grundlage für evidenzbasierte Entscheidungen in der Wohnungspolitik. Um gezielt auf sich verändernde Nachfragen reagieren zu können, brauchen Städte Planungsinstrumente, die langfristig aber auch kurzfristig wirken. Das bedeutet: datenbasierte Stadtentwicklung muss stärker in den Alltag der Wohnraumpolitik integriert werden, als Frühwarnsystem und Orientierungshilfe zugleich. Gleichzeitig verweist das Forscherteam auf die Gefahr, kurzfristige Trends zu überschätzen: Nicht jeder  pandemiebedingte Effekt wird dauerhaft Bestand haben. Entscheidend sei deshalb die Kombination aus technologischen Werkzeugen, sozialem Wohnungsbau und regulatorischer Intelligenz statt isolierter Einzelmaßnahmen.

Was bedeutet das für Städte in Deutschland und darüber hinaus? Fabian Braesemann betont: „Wohnungsmärkte sind komplexe Systeme. Wenn wir Mietpreissteigerungen verstehen und gezielt steuern wollen, brauchen wir datenbasierte Einblicke – und die Fähigkeit, politische Maßnahmen flexibel an sich wandelnde Präferenzen anzupassen.“ Die Forscher empfehlen den Ausbau digitaler Kompetenzen in Stadtverwaltungen; Kooperationen mit Plattformanbietern zur besseren Datenverfügbarkeit; und gezielte Fördermaßnahmen statt pauschaler Eingriffe wie Mietobergrenzen. Ein weiterer Fokus sollten sozialer Wohnungsbau und genossenschaftliche Modelle sein. Diese könnten helfen, langfristig ein stabiles und gerechtes Mietniveau zu sichern – nicht durch Marktverzerrung, sondern durch soziale Innovation und gezielte Unterstützung für besonders belastete Haushalte.