Vom 26. bis 28. Mai 2025 versammelte sich auf der re:publica in Berlin, dem Festival für die digitale Gesellschaft und damit die größte Konferenz ihrer Art in Europa, wieder die digitale Zivilgesellschaft: Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen, Politiker*innen und Kulturakteur*innen diskutierten unter dem diesjährigen Motto "Generation XYZ" über Verantwortung, Visionen und Verwerfungen einer von Technologie durchdrungenen Welt. Auch das ECDF war erneut mit mehreren Beiträgen vertreten. Forschende verschiedener Disziplinen beleuchteten die strukturellen, politischen und sozialen Dimensionen digitaler Technologien. Dabei reichte das Spektrum von technikpolitischer Ideologiekritik bis zur Analyse digitaler Gesundheits- und Sicherheitsinfrastrukturen.
Digitale Ideologie und der Angriff auf die Demokratie
In einem eindringlichen Vortrag analysierte der Philosoph und am ECDF assoziierte Wissenschaftler Rainer Mühlhoff ideologische Strömungen innerhalb der Tech-Industrie. Unter dem Titel "Digitaler Faschismus: Wie KI-Ideologie die Demokratie untergräbt und wie wir sie verteidigen können" thematisierte er die politische Dimension aktueller KI-Debatten und ihre ideologischen Wurzeln.Mühlhoff zeigte auf, dass die Verknüpfung von KI-Industrie und antidemokratischen Ideologien nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene besteht. Vielmehr teile die transhumanistische Tech-Ideologie zentrale Elemente mit autoritären Weltbildern: technokratische Elitenbildung, Selektion durch Intelligenz, den Glauben an eine posthumane Zukunft. Narrative wie die Singularität und der Longtermismus, einstige Nischenideen aus Think Tanks wie "Humanity+" oder dem "Future of Life Institute", prägten inzwischen auch politische Diskurse in Europa.
Dabei werde Ethik oft als Feigenblatt verwendet: Bewegungen wie "Effektiver Altruismus" geben sich gemeinwohlorientiert, vertreten aber technikdeterministische und selektive Positionen. Mühlhoff rief zur kritischen Reflexion digitaler Zukunftsnarrative auf und warnte vor ihrer politischen Vereinnahmung. "Transhumanisten sehen KI-Entwicklung als eine Naturkraft. Das ist für sie etwas, das passiert wie ein evolutionärer Prozess der Menschheit und lässt sich auch nicht aufhalten", so der Professor. Mühlhoffs Kollegin Aline Blankertz, Ökonomin bei Rebalance Now, betonte abschließend, dass technische Lösungen auch auf Bundesebene zum zum Einsatz kommen sollen, jedoch ist für sie eine europäische Alternative mit europäischen Werten zentral.
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Wer sind die deutschen Digitaleliten? Eine soziologische Bestandsaufnahme
Der Soziologe und ECDF-Vorstandsmitglied Philipp Staab präsentierte gemeinsam mit Lion Hubrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ECDF und der HU Berlin, Forschungsergebnisse zur Sozialstruktur der deutschen Techeliten. Unter dem Titel "Eliten der Digitalisierung in Deutschland: Die Sozialstruktur der Rückständigkeit" stellten sie dar, wer die prägenden Akteure der Digitalökonomie in Deutschland sind, wie ihre Karrieren verlaufen und welche Vorstellungen von Erneuerung sie verkörpern. Ihr Befund: Die deutsche Digitalelite ist weit weniger divers und durchlässig, als es Innovationsrhetoriken vermuten lassen. Die meisten Spitzenpositionen sind von westdeutschen Männern mit akademischem Hintergrund besetzt. Der Anteil ostdeutscher oder internationaler Biografien ist gering, ebenso der Frauenanteil in den Vorständen großer Startups.
Auch die Karrierepfade sind wenig überraschend: Ausbildung an deutschen Universitäten, früher Einstieg in etablierte Unternehmen, geringe internationale Mobilität. Die Vernetzung der Akteure findet vor allem in klassischen Gremien statt – weniger in neuen, offenen Innovationsumfeldern. Staab und Hubrich sehen darin weniger einen Aufbruch, sondern die Fortführung bestehender Strukturen. Der oft beschworene "deutsche Musk" bleibt bislang eher ein Symbol als gelebte Realität. "Was wir sehen, hat wenig mit Aufbruch zu tun, sondern mehr mit dem Deutschland der 1990er Jahre“, resümiert Hubrich.
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Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung: Zwischen Skepsis und Gestaltung
In ihrem Vortrag "Die elektronische Patientenakte als Demokratietest: Eine Nutzungsanleitung für Alt und Jung" informierte Rahel Gubser, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité - Universitätsmedizin Berlin und der Freien Universität Berlin und im Team von ECDF-Professor Daniel Fürstenau, über Hintergründe und aktuelle Entwicklungen rund um die Einführung der ePA. Sie versteht die ePA nicht nur als technisches, sondern auch als gesellschaftliches Projekt. Gubser erklärte, wie die Akte funktioniert, welche Daten erfasst werden und welche Rechte Patient*innen haben. Dabei machte sie deutlich, dass es für eine breite Akzeptanz eine informierte und selbstbestimmte Nutzung brauche. Insbesondere der Umgang mit sensiblen Informationen erfordere Aufmerksamkeit.
Ihr Plädoyer: Die ePA könne dann einen echten Mehrwert leisten, wenn Nutzer*innen sie aktiv mitgestalten. Der Vortrag schloss mit einem Aufruf zu mehr Transparenz, Mitbestimmung und Verantwortung im Umgang mit digitalen Gesundheitsdaten.
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Digitale Gegenöffentlichkeit: Desinformation analysieren mit Teledash
Telegram gilt als Plattform für verschwörungstheoretische Inhalte – ihre Analyse gestaltet sich jedoch aufwändig. Elisabeth Steffen, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der HTW Berlin und TU Berlin und im Team von ECDF-Professorin Helena Mihaljević, stellte im Workshop "Monitoring und Analyse von Desinformation, Verschwörungstheorien & Co. auf Telegram: Das Open Source-Tool Teledash mit" ein Open-Source-Tool zur Untersuchung von Telegram-Kanälen vor. Mit Hilfe KI-gestützter Verfahren können Inhalte transkribiert, thematisch gebündelt und ausgewertet werden. Das Tool richtet sich an Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft und soll helfen, Desinformationsmilieus besser zu verstehen. Im Workshop konnten Teilnehmende Teledash direkt testen und Anwendungsszenarien diskutieren.